Brief an einen Jäger

 

Lieber Freund!

Dass sich Hundehalter und Jäger nicht immer freundlich zugetan sind, wissen wir beide. Und wir wissen auch warum das so ist: Es sind die sehr rigorosen Jagdgesetze und deren Unvereinbarkeit mit der persönlichen Freiheit des Menschen und seines besten Freundes. Auf Grund dieser Gesetze ist eine artgerechte Führung eines Hundes im Freiland praktisch nur über permanenten Gesetzesbruch möglich. Aber ich gehe mit Ihnen 100 %-ig konform, wenn Sie mehr Respekt vor dem Eigentum einfordern und betonen, dass wir alle nur Gäste in unserer Natur sind. Sie wissen, dass das auch in meinen Hundeführ-Seminaren zum Ausdruck gebracht wird. Nur: Hunde sind nicht das große Problem des Wildes. Die wahren Probleme von Bambi & Co sind die zunehmende Verbauung ihrer Lebensräume, der mörderische Straßenverkehr, die maschinelle Landwirtschaft; vielleicht auch die Wilderei.

Die Probleme der Jägerschaft sind doch eher die zurückgehenden Wildbestände, die die Erfüllung der vorgegebenen Abschusspläne nahezu unmöglich machen. Aber Hunde und deren Besitzer sind gemessen an Straßenverkehr, Wilderei und maschineller Landwirtschaft ein marginales Problem. Es ist allerdings eines, das sich sehr leicht emotional aufheizen lässt. Lesen Sie doch einmal in den Internetforen der Jägerschaft. Dieser Hass auf Hunde ist doch völlig irrational und er führt zu Kurzschlusshandlungen, wie das Vergiften oder Abknallen von Haushunden. Natürlich reagieren Hundehalter verstört bis aggressiv.

Ich selbst bin sehr viel mehr für gegenseitigen Respekt und Fairness. Reden wir einmal nur von Rehen: Sie wissen, es würde mir persönlich nicht im Traum einfallen, ein friedlich dahinäsendes Reh aus dem Hinterhalt abzuschießen, und jedes gerissene oder zu Tode gehetzte Reh tut mir unendlich Leid. Also lassen wir doch die Kirche im Dorf: Österreichweit wurden im Jagdjahr 2013/14 etwa 275.000 Rehe ganz legal abgeschossen, statistisch gesehen sind das 756 pro Tag. 71.370 Rehe starben als Fallwild, 38.000 davon auf Österreichs Strassen – 104 pro Tag. Knapp 1.000 Rehe werden lt. Jagdverband jährlich durch Hunde getötet + einer Dunkelziffer von noch einmal 500. Das sind insgesamt 1,8 % vom Fallwildanteil. Und über diese 1,8 % – das sind 4 Rehe pro Tag österreichweit – wird ausgiebig in den diversen Gazetten berichtet. Halten Sie das für fair? Halten Sie das wirklich für ein vordringliches Problem? Seien wir doch einmal ganz ehrlich: Ein Reh hat eine Daseinsdauer von 2-3 Jahren (wenn überhaupt) und es lebt und wird gehegt, um zeitgerecht von einem Jäger erlegt zu werden. Es ist Wild und dann Wildbret, und als Wirtschaftsfaktor schließlich ein Produkt: Ich kann heute jederzeit ein ganzes Reh in der Decke unter 60 Euro kaufen.

Ein Hund ist nicht einfach nur ein Tier. Unsere Haushunde sind (auch wenn man es ganz sachlich betrachtet) unsere Gefährten. Und sie sind Familienmitglieder, sie sind Teil unseres Lebens und unseres Alltags und wenn ein Hund (oder eine Katze) abgeschossen wird, dann wird ein Leben aus einer Familie gerissen und es hinterläßt immer tiefe Trauer und Schmerz. Ich verstehe die Gefühle eines Jägers, wenn er ein gerissenes Reh sieht. Aber das ist weiß Gott kein Grund, alle Hunde und deren Halter zu hassen. Es ist Teil des Lebens. Es passiert eben manchmal und es wird immer wieder passieren. Auch dann wenn Sie alle Hundehalter ausbilden und alle Hunde zu Gehorsam erzogen werden. Sie wissen es selbst: Auch die Hunde von Jägern revieren manchmal, und wenn dann ein Reh in der Nähe ist kann es zur Beute werden. Das ist so, und niemand wird es ändern, so wie niemand einen Unfall bei der Arbeit, zu Hause oder auf der Straße zur Gänze ausschließen kann. Ich weiß das und Sie wissen das auch. Ein bisschen guter Wille auf beiden Seiten und wir haben es netter.

Mit herzlichen Grüßen Ihr
Bernd H. Pierstorff

 

 

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